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Tod und Verwüstung
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Der 11. September 2001 wird in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem die beiden Türme des World Trade Center in New York eingestürzt sind. Die ganze Welt konnte die Zerstörung der Zwillingstürme und die Verwüstung, die danach folgte, am Fernseher mitverfolgen. Was für ein Entsetzen!
 
Wie sollen wir als Christen dieses Ereignis deuten? Vor fast 2000 Jahren brach in Jerusalem ein Turm zusammen und riss 18 Personen in den Tod. Im Vergleich zur Katastrophe vom 11. September 2001 scheint uns das Ereignis in Jerusalem von geradezu bescheidener Dimension zu sein. In der heutigen Zeit wäre es vielleicht nicht einmal unter den vermischten Meldungen zu finden. Aber damals genau gleich wie heute fragten sich die Menschen: Wieso ist dies geschehen? Jesus nahm Stellung zum Schicksal der 18 Menschen, die in Jerusalem das Leben verloren. Er tat dies, indem er eine Frage aufnahm, die damals im Volk diskutiert wurde: "Oder jene achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und sie tötete: meint ihr, dass {sie} vor allen Menschen, die in Jerusalem wohnen, Schuldner waren?” (Lk. 13,4)
 
Das Volk hielt den Unfall keineswegs für das Ergebnis eines blinden Zufalles. Viele vermuteten einen direkten Zusammenhang zwischen dem tragischen Tod dieser Menschen und ihrer Schuld. Falls die Opfer tatsächlich grössere Sünder als alle anderen Bewohner Jerusalems waren, dann war es naheliegend, diesen Unfall als Gericht Gottes zu verstehen. Das Wieso des Unfalles wäre geklärt: Gott hätte diese Menschen aufgrund ihrer Sünden sozusagen "hinrichten” lassen. So dachten viele damals. Dies sollte uns kaum erstaunen, da auch wir oft vergleichbare Denkmuster haben: "Wenn ich brav bin, dann wird mich Gott segnen. Oder umgekehrt: Gott straft mich jetzt wegen einer Sünde.”
 
Die Überlegungen im Volk waren Jesu bekannt. Sie widerstrebten ihm aber völlig. In seiner kurzen Stellungnahme ist eine Wucht, die mich jedes-mal neu erstaunt:"Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Busse tut, werdet ihr alle ebenso umkommen.”(Lk. 13,5) Jesu Antwort ist entschieden: Nein, die Opfer des Unfalls waren nicht grössere Sünder als alle Menschen in Jerusalem. Wieso mussten denn diese Menschen sterben? Jesus lässt die Frage offen. Es stand den Zuhörern nicht zu, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Heute genauso sollen wir uns davor hüten, tragische Ereignisse als Anlass zu nehmen, die Opfer zu verurteilen.
 
Und plötzlich scheint Jesus, die Zielrichtung seiner Rede zu ändern: Das Augenmerk war auf die Opfer gerichtet und jetzt spricht Jesus seine Zuhörer direkt an und fordert sie zur Busse auf. Verstehen wir, was da abläuft? Indem viele im Volk die Opfer des Unfalles verurteilten, sprachen sie sich gleichzeitig selbst als gerecht. So lauteten etwa ihre Gedankengänge: "Die Opfer dieses Unfalles sind wegen ihrer grossen Sünden umgekommen. Da mich Gott leben lässt, ist es der Beweis, dass ich ihm wohlgefällig bin. Somit muss ich auch nichts an meinem Verhalten ändern!” Menschen, die so denken sind in Lebensgefahr.
 
Jesus fordert seine Zuhörer zur Busse auf. Wer nicht Busse tut, wird "ebenso” umkommen. Jesus bezieht sich auf das Ende der Opfer dieses Unfalles in Jerusalem. Meint Jesus damit, dass ein unbussfertiger Sünder in vergleichbaren gewaltsamen Umständen das Leben verlieren würde? Kaum. Es geht hier um eine geistliche Verlorenheit. Jesus verheisst offensichtlich nicht allen Sündern einen gewaltsamen Tod, sondern kündigt eine geistliche Verlorenheit allen Menschen an, die nicht Busse tun.
 
Gott allein weiss, ob diese 18 Opfer des Unfalles in Jerusalem verloren sind. Eines aber wissen wir: Sie haben nach dem Tod keine Gelegenheit mehr Busse zu tun. Falls sie als unbussfertige Menschen gestorben sind, wäre das die wahre Tragödie an diesem Unfall.
 
Zwei Türme sind in New York eingestürzt. Gott hat es zugelassen. Er hat auch zugelassen, dass Tausende von Menschen in diesen Umständen umkommen. Wieso? Ich weiss es nicht und es steht mir nicht zu, eine Antwort auf diese Frage zu bekommen. Dieses Ereignis hat aber die ganze Welt aufgerüttelt. Plötzlich waren viele Menschen still und nachdenklich. Dies sind Zeiten, in denen die Botschaft Gottes in die dunkle Welt hineindringen kann: "Tut Busse, damit ihr nicht verloren geht!” Es ist noch Zeit der Gnade. Lasst uns die gute Botschaft Jesu in die Welt hineintragen! Es ist noch Zeit der Gnade.
 
 
Olivier Cuendet